leseprobe

 

 

Als ich meinen Gastgeber vor einiger Zeit an meinem Arbeitsplatz kennenlernte, hat er mir in einem einzigen Gespräch bewusst gemacht, dass es an der Zeit ist mein Leben zu ändern. Als ich mich dafür in einem Mail an ihn bedankt habe, erinnerte er mich an eine Begabung von mir, dem Schreiben, die ich seitdem lebe. Ich habe ihm danach noch einige Male geschrieben und ihn auch an meinen Träumen teilhaben lassen. Ich erzählte ihm von meinem Holzhaus, das umgeben ist von Bäumen und Wildtieren, indem die unteren Wohnräume offen sind, es in der Mitte eine wunderschöne Treppe gibt, die ins obere Stockwerk führt und einen offenen Kamin hat, der eine wohlige, angenehme Atmosphäre verströmt. Rund um dieses Haus ist absolute Stille, in der ich dann meiner Kreativität freien Lauf lassen kann. 

Kurz nachdem er diese Nachricht erhalten hat, meldete er sich bei mir, dass ich raten dürfte, wo er sich in diesem Augenblick gerade befindet. Nach einigen Lachern und damit verbundenen unverständlichen Worten in original vorarlbergischem Dialekt meinte er: „In deinem Traumhaus.“ Ich habe anschließend eine Einladung in „mein“ Traumhaus bekommen und da bin ich nun gelandet, weil der Reiz dieses Haus und ihn wiederzusehen einfach zu groß war, um es auf später zu verschieben. 

Als ich nun nach dem Duschen barfüßig durch das Haus gehe, erinnere ich mich wieder an diese angenehme Empfindung, die dieser Holzfußboden in mir weckt, wenn ich ganz langsam auf ihm entlangspaziere. Es ist eine faszinierende Mischung aus dem Gefühl der tiefen Erdung und dem Wahrnehmen dieser Holzrillen auf meinen Sohlen. Dadurch fühle ich wieder diese starke Verbundenheit zur Natur und somit auch zu unserer Mutter Erde, die uns an jedem einzelnen Tag alles zur Verfügung stellt, was wir benötigen und nun, auch große  Dankbarkeit und Demut. 

Mit diesen Gedanken gehe ich durch sein Haus, genieße die Zeit, die mir hier geschenkt wird in vollen Zügen und erinnere mich nun an den gestrigen Abend, der bis in die frühen Morgenstunden andauerte und in denen ich wieder einmal innerhalb kurzer Zeit in die wahren Tiefen eines Menschen eintauchen durfte. Ich sehe noch einmal diesen urigen, alten Holztisch, der in diesem wunderschönen offenen Wohnraum steht, in dem ich, auch wenn mein Freund nicht anwesend ist, überall seine Präsenz spüre. Ob dies nun eine besonders originelle Uhr ist oder einige verrückte Accessoires sind, die genau spiegeln, wer er ist. 

Ich erinnere mich an alle seine Facetten, die ich kennenlernen durfte und die es nach diesen intensiven Stunden auch anzunehmen galt, obwohl mich einige seiner Geschichten doch etwas forderten. 

Am schönsten ist die Seite von ihm, in der ich ihn als meinen Seelenverwandten wahrnehme und in der ich diese Vertrautheit mit ihm spüre. In diesen Momenten funkeln seine blitzblauen Augen so sehr, dass ich fühle, wieviel Freude es ihm macht, dass seine Seele sich so öffnen kann. Es lässt ihn, gemeinsam mit seinem herzhaften, ansteckenden Lachen wie einen anderen Menschen aussehen. Er strahlt in diesen Augenblicken eine angenehme Wärme aus, die meinen ganzen Körper durchflutet. Die Worte purzeln ohne nachzudenken über seine Lippen und es fühlt sich an, als müsste an diesem einzigen Abend alles gesagt werden, weil es nur diesen einen gibt. Dann entspannt er sich während unseres Gespräches wieder so tief, dass sich in seinem Gesicht eine vollkommene Ruhe und tiefer innerer Frieden zeigt. 

Ich lerne auch die Seite des Weltenbummlers kennen, der die halbe Welt bereist, andere Kulturen und Länder kennengelernt hat und immer wieder in Geschichten gelandet ist, die er nur durch seine Verrücktheit erleben konnte. In ihnen spiegelt sich auch sein Inneres Kind wieder, das durch seine Neugier und Leichtigkeit viele außergewöhnliche Zeiten unbeschwert erleben durfte. 

Als er mir von seinen Kindern erzählt, beginnen seine Augen wieder zu leuchten, weil sie wie er Herzensmenschen sind und den Beruf, den sie ausüben sehr lieben und darin erfolgreich sind. Sie wirken wie ein Lebenselixier auf ihn, das ihn die kalten Winter, die ihm körperlich nicht sehr gut tun, leichter bewältigen lassen. 

Eine weitere ist die des großen Herzensbrechers und erfahrenen Liebhabers, bei dem die Frauen noch heute anrufen, weil er ein Mann ohne Grenzen ist. Mit ihm kann man Abenteuer, die oft nur in der Fantasie existieren, auch erleben und er redet offen darüber, weil er das Wort Verlegenheit nicht kennt. Es macht ihm besonders viel Spaß mir von seinen Urlauben und auch von seinem Domizil am Bodensee zu erzählen, wo er immer wieder in dieses Leben eintauchen kann. 

Dann die Seite des Unternehmers, der sein ganzes Leben lang hart gearbeitet hat, was nicht spurlos an ihm vorübergegangen ist. Seine Selbständigkeit hat ihm zwar vieles ermöglicht, allerdings auch einige Nachteile gebracht.

Er erzählt mir, dass er gerne einfacher leben und sich nicht mehr mit so vielen unwichtigen Dingen umgeben möchte. Obwohl er sich selbst und den anderen bewiesen hat, dass er alles bekommen kann, was er sich wünscht, scheint noch irgendeine Angst tief zu sitzen. Vielleicht ist es die Angst, dass sich seine Bewunderer, die er jetzt noch in seinem Leben braucht, von ihm abwenden und dass der vermeintliche äußerliche Glanz verblasst. Er umgibt sich, wenn er alleine in seinem Haus ist, mit vielen Geräuschen, weil er die Stille nicht erträgt. Ich weiß, dass in die Stille zu gehen viel Mut erfordert. Es kommt all das zum Vorschein, was er durch den Lärm übertönen möchte. Meine Stille ist wunderschön, weil ich all das höre, was einzigartig ist. Den eigenen Herzschlag, den Atem eines geliebten Menschen, das bezaubernde Vogelgezwitscher und die Melodie des Windes.